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Begegnung in Zorge

Zorge im Südharz liegt windgeschützt tief in einem engen Tal. Vor einer Tafel mit den vielen Wanderwegen des Ortes komme ich beiläufig mit Annelise Capon ins Gespräch. Die Belgierin ist zum ersten Mal im Harz und begeistert von dem, was sie bisher gesehen hat.

Von dem zuweilen rauhen Klima des Harzes lässt sich Annelise Capon nicht abhalten. Im Gegenteil: »Auch zwischen 6 und 17 Grad kann man doch ganz gut wandern«, sagt die 48-Jährige, »selbst wenn meine Freunde, die es in die Wärme zieht, das überhaupt nicht verstehen können.«

»Nichts Vergleichbares in Belgien«

Capon arbeitet als Expertin für Arbeitssicherheit in Gent. Was reizt jemanden aus einer Traumstadt wie Gent daran, in den Harz zu kommen? »In Gent gibt es nur Häuser, im Harz dagegen Stille, Natur und überall viel Wasser – Bäche, Flüsse, Seen und Talsperren. Das gefällt mir.« Es gebe nichts Vergleichbares in Belgien, nicht mal die Ardennen könnten da heranreichen. Capon’s Einschätzung würde vielleicht erklären, warum es immer mehr Belgier und vor allem Holländer in den Harz zieht.

Annelise Capon aus Gent ist zum ersten Mal im Harz. In Belgien gebe es kein vergleichbares Mittelgebirge. Sie will unbedingt wiederkommen. Rechts: Am Ortsausgang nach Braunlage sorgt eine Magnolie als Königin der Gehölze für Blütenzauber.

Annelise Capon, die wegen der Stille in der Natur gern allein unterwegs ist, ist für sechs Tage in den Harz gekommen. Was hat sie schon alles gesehen? Die Teufelsmauer (»wunderbar«), den Oderteich (»sehr schön«). Den Trubel auf dem Torfhaus dagegen brauche sie nicht. »Ich bin nur des Wanderns wegen hier.« Und schon nach zwei Tagen ist sie überzeugt: »Ich komme wieder. Auf jeden Fall!« Sie überlegt sogar, im Harz ein Haus zu kaufen. »Hier ist es im Sommer und im Winter schön.«

Eine aus Fachwerkhäusern komponierte Kulisse gegenüber der Kirche.

»Zum Wandern in Zorge: Ein Informatiker tankt auf«

Pascal Treiber ist mit seinem Sohn Theo bei herrlicher Herbstsonne zum Wandern nach Zorge gekommen. Begeistert berichtet er von der »schön gelegenen Stempelstelle ›Bremer Klippe‹«. Treiber ist in Hamburg als Wirtschaftsinformatiker bei Gruner + Jahr tätig. Jüngere Kollegen von ihm würden regelmäßig zum Wandern oder Biken in den Harz fahren. »Dabei kann man nach einem hektischen Alltag so richtig auftanken«, sagt er.

Pascal Treiber und sein Sohn Theo auf dem Weg von den »Bremer Klippen« zum »Pferdchen-Pavillion«. Rechts: Blick vom Glockenturm nach Süden.

Ob Gruner + Jahr den Trend für Freunde des Naturerlebnisses unterstützt? »Aber ja«, schmunzelt Pascal Treiber, »bei uns erscheint regelmäßig die Outdoor-Zeitschrift ›Walden‹«.

Am Glockenturm hoch über Zorge treffe ich eine junge Kirchenmusikerin aus Goslar, die mir sofort widerspricht, als ich den Versuch mache, dem Misch- und Laubwald des Südharzes den Vorzug vor dem zuweilen dunklen Tannenwald des Nordharzes zu geben. Beides habe seinen Reiz.

Das Wahrzeichen hoch über Zorge: Der Glockenturm wird überall im 4,5 Kilometer langen Ort gehört. An seinem Glockenschlag orientierten sich früher die Bergleute. Rechts: Blick vom Glockenturm nach Süden.

»Wanderweg auf dem ehemaligen Todesstreifen«

Zorge, an dem gleichnamigen Flüsschen gelegen, ist ein langgestrecktes Straßendorf mit knapp 1000 Einwohnern. Auf einem der mindestens acht Wanderwege – die meisten bieten wundervolle Ausblicke – läuft man streckenweise entlang des »Todesstreifens«, der ehemaligen inner-deutschen Grenze, heute ein regelrechtes Biotop, das »Grüne Band«. Zorge ist der südöstlichste Zipfel Niedersachsens und liegt im Drei-Länder-Dreieck, erläutert ein freundlicher Herr in der Touristinformation. Thüringen sei greifbar nahe und Sachsen-Anhalt nur vier Kilometer entfernt.

Die Straße von Zorge nach Hohegeiß ist – da wenig Autoverkehr – bei Rennrad-Fahrern beliebt, aber durchaus anstrengend, da auf der sieben Kilometer langen Strecke etwa 300 Höhenmeter zu überwinden sind. Mountainbiker benutzen dagegen lieber die vielen abwechslungsreichen Waldwege.

»Glen Els: Hochgelobter Whisky aus Zorge«

Wofür ist Zorge neben seiner idealen Lage für Wanderer, Rennrad-Fahrer und Mountainbiker heute noch bekannt? Seit 2005 kommt aus Zorge der Glen Els, der Harzer Single Malt Whisky. Er wird neben Gewürzlikör und Obstbrand in der »Hammerschmiede« am Elsbach destilliert. Die Basis: Harzer Wasser bester Qualität aus der großen Staufenbergquelle im Elsbachtal.

Das Wachstum der Manufactur und Brennerei, die zehn Mitarbeiter beschäftigt, spricht eine deutliche Sprache. 2017 wurden rund 25.000 Flaschen Glen Els und 50.000 insgesamt abgesetzt. Die Besucher der Hammerschmiede, deren Geschichte bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, sind im Besonderen beeindruckt vom umfangreichen Lager mit seinen 700 Fässern.

Die Malt’s aus Zorge erhielten den Ritterschlag von keinem geringeren als Jim Murray, der sie in seiner Whisky-Bible als absolute Spitzenprodukte pries, auch im Vergleich mit schottischen Malt’s.

»Zorge einst wichtigster Industriestandort des Herzogtums Braunschweig«

Fast in Vergessenheit geraten ist die erfolgreiche industrielle Vergangenheit von Zorge: Durch den Bergbau und die Eisenhütte entwickelte sich der Ort 1570 zum wichtigsten Industriestandort des ehemaligen Herzogtums Braunschweig. Beide Wirtschaftsbereiche prägten Zorge bis Ende des 19. Jahrhunderts. Wer weiß schon noch, dass die Staatsbahn Braunschweig 1842 in Zorge die ersten beiden in Deutschland von staatlicher Seite in Auftrag gegebenen Dampf-Lokomotiven produzieren ließ. Insgesamt wurden hier sechs hergestellt, später dann kleinere Werkslokomotiven. Die Dampfloks wurden mit Pferden via Torfhaus über den Oberharz geschleppt.

Text, Fotos und Gestaltung: Michael Hotop, Jochen Hotop

Wanderung in Bildern:
Zorge – Pferdchen – Helenruh – Bremer Klippe – Zorge

Touristinfo in Zorge
Ausgangspunkt: Die Touristinformation, in der auch das Heimatmuseum zu finden ist. Parkplatz direkt vor dem Haus. Der Hauptstraße Richtung Braunlage/Hohegeiß ein kurzes Stück folgen und dann links in die deutlich ansteigende Straße Kirchberg abbiegen. In Höhe der letzten Wohnhäuser geht es dann links in den Wald bis zum Alten Wiedaer Hüttenweg. Dort wieder links (bergauf) halten. Achtung: Wenig später weist rechts eine Hinweistafel auf einen anspruchsvollen Pfad zum Pferdchen-Pavillion hin.
Das »Pferdchen« wurde zur schönsten Stempelstelle 2013 der Harzer Wandernadel gewählt. Es ist eine Wetterfahne mit dem springenden Braunschweiger Ross aus Zorger Hüttenstahl. Entstanden: 1819/20.
Blick auf Zorge vom 461 Meter hohen Pferdchen-Pavillion. Von dort aus weiter auf dem Weg »Schöne Aussicht« Richtung Helenruh. Ab und zu weisen Schilder auf den Erzbergbau vergangener Zeiten hin, etwa, dass 1802 hier erstmals ein Mineral mit dem bis dahin unbekannten Selen entdeckt wurde.
Wir kommen wieder auf den Alten Wiedaer Hüttenweg und sehen links hinter Bäumen eine große Lichtung. Hier liegt auch die nächste Schutzhütte und Stempelstelle Helenruh. Wenige Meter weiter biegen wir an einer Gabelung nach links auf den Kaiserweg ein und folgen ihm bis zu den Bremer Klippe.
Kurz vor der Bremer Klippe haben wir einen Blick ins Nachbartal mit dem Ort Wieda.
Die Bremer Klippe liegt mit Schutzhütte und Stempelstelle auf 603 Metern.
Von der Bremer Klippe haben wir einen weiten Blick zum 659 Meter hohen Ravensberg mit seinem Fernmeldeturm, der in Zeiten des Kalten Krieges erbaut und als militärischer Abhörposten genutzt wurde.
Auf dem ausgeschilderten Rückweg nach Zorge kommen wir nach einem Abstecher zur Schutzhütte »Nordhäuser Blick« an eine Stelle, wo im Nordosten auf einem Hochplateau Hohegeiß (Foto) zu sehen ist.