Wandern

Englische Journalistin zum Harzer-Hexen-Stieg: »In jeder Hinsicht gruselig«

Die brillante Journalistin Sarah Baxter erwanderte den Harzer-Hexen-Stieg von Osterode bis Thale. Ihr Fazit mit einer Prise englischem Humor und in Anspielung auf den Hexen-Kult und die abgestorbenen Fichten: »In jeder Hinsicht gruselig.«

Der Harzer-Hexen-Stieg, dieser rund 100 Kilometer lange Wanderweg im Norden Deutschlands, verbindet schauerliche Bräuche, industrielles Erbe und Wälder, die sich von einem verheerenden Schädling erholen, so Sarah Baxter, die ihren Bericht am 28. Oktober 2023 in der englischen Tageszeitung Guardian veröffentlichte.

Karte Harzer-Hexen-Stieg

Schon kurze Zeit nachdem sie in Osterode gestartet ist, fällt der Journalistin in einer Holzhütte eine Inschrift auf mit einem ziemlich extremen Versprechen: »Wanderer, ich schütze Dich vor schlechtem Wetter und unheimlichen Mächten.« Dazu Baxter: »Vielleicht braucht man in diesen gruseligen Gegenden solche Versprechen.« Derartige Hütten seien früher für mittelalterliche Eseltreiber errichtet worden, die aus der nahegelegenen Stadt Osterode Waren zu den Minen in Deutschlands nördlichstem Gebirge transportiert hätten.

»Hexen liegen im Trend«

»Wer könnte einem Pfad mit einem Namen wie diesem widerstehen? Ein Name, der aus Jahrhunderte altem Brauch entstanden ist, eine Tradition, die jetzt im Trend liegt?« fragt Sarah Baxter. Hexenliteratur sei heute ein heißes Thema. Zu den Top-Titeln 2023 gehörten  Emilia Hart ´s Weyward und Margaret Mayer ´s The witching Tide. Darüber hinaus beanspruche eine Bewegung älterer Frauen das Wort »Hexe« zurück.

»Faszinierend und auf unerwartete Weise fesselnd«

Sarah Baxter
Die Autorin, Redakteurin und Reisejournalistin hat ihre Karriere als Journalistin beim Reisemagazin Wanderlust begonnen und schreibt unter anderem für den Guardian, Telegraph, Independent und Runner ´s World. Darüber hinaus hat sie zahlreiche Reisebücher verfasst oder an ihnen mitgearbeitet. So ist sie Autorin von »History of the World in 500 Walks«.

Für Sarah Baxter schien der Harzer-Hexen-Stieg die ideale Wahl für den Herbst zu sein: »Der gut ausgebaute 100-Kilometer-Pfad von Osterode nach Thale – normalerweise in vier bis sechs Tagen zu schaffen – würde unter den Füßen ziemlich trocken bleiben, Nebel würde für zusätzliche Atmosphäre sorgen, gemütliche Gasthäuser und herzhafte Schweinebraten würden auf mich warten, und abends würden Geistergeschichten erzählt. Was ich fand, war faszinierend und auf unerwartete Weise fesselnd.« Als sie in Osterode aufgebrochen sei, habe sie gesehen, dass die Leute sich stark mit dem Hexenthema identifizierten. »Spitzhütige Figuren lugten aus jedem Garten und Fenster.«

»Baxters Lieblingsüberbleibsel aus der Bergbauzeit«

Auf vielen Abschnitten ihrer Wanderung begegneten Sarah Baxter im Oberharz die Zeugen der ältesten und einst wichtigsten Bergbauregion Europas. Als ihr »Lieblingsüberbleibsel« aus dieser Zeit bezeichnete sie das riesige, farn-besäumte Waldschwimmbad in Altenau, wo sie nach der ersten Etappe übernachtete. Baxter: »Ein Vorfrühstückssprung ins kühle Nass, als nur die Bachstelzen da waren, um mein Jauchzen zu hören, bereitete mich auf den nächsten Wandertag vor.«

»Der Brocken: Immer noch ein unheimlicher Ort«

Von Altenau aus folgt der Weg, der den Brocken hinauf führt, nach ihren Worten, den Spuren von Goethes »Faust«, in dem der höchste Gipfel des Harzes zum Spielplatz von Hexen wird. Der Brocken sei immer noch ein unheimlicher Ort, aus vielen Gründen, nicht nur, weil er bis zu 300 Tage im Jahr in Nebel gehüllt ist. Die Ost-West-Grenze habe den Harz geteilt und der Brocken sei zu Spionagezwecken genutzt worden.

»Abgestorbene Fichten sind ein bißchen wie Halloween«

Am gruseligsten hat Sarah Baxter die Wälder am Brocken und im Westharz empfunden. Sie sei nicht vorbereitet gewesen auf die Verwüstungen, die der lochbohrende Borkenkäfer angerichtet hat. Stellenweise sei der Anblick der Skelett-Fichten an den Hängen ein bißchen wie Halloween. Die seit Jahrhunderten hier monokulturell angepflanzte heimische Fichte habe aufgrund des Klimawandels dem Angriff der Käfer nicht standhalten können.

Tannen am Wurmberg
Am Wurmberg wird deutlich wie sehr sich die Natur schon erholt hat. Die jungen Fichten haben bereits eine beachtliche Größe (Foto: Heinz-Helmut Heidenbluth).

Aber Baxter ist auch überzeugt: »Das wird wieder.« In vielen Gebieten, sagt sie, vertraut man darauf, dass die Natur sich selbst repariert. Unter den verfallenden Bäumen sprieße neues Wachstum. Und einige Bereiche würden aktiv mit einheimischen Arten wie Bergahorn, Weide und Ahorn neu bepflanzt.

»Der Höhepunkt der Magie«

Jenseits von Rübeland, so Baxter weiter, befiederte Blattgrün die Ufer der Bode und wie aus einem Märchen sei plötzlich die Bodetaler Basecamp Lodge aufgetaucht, einst Refugium für Mitarbeiter der staatlichen TV-Firma der DDR, heute ein hippes Hostel-Hotel. Der Besitzer Heiko Uelze servierte Sarah Baxter Wild-Bison zum Abendessen.

Der letzte Abschnitt des Weges, der die Journalistin nach Treseburg und Thale führte, sei der schönste von allen: »Nachdem ich auf der längsten Fußgängerbrücke der Welt ungestüm über das Rappbode-Tal gelaufen war, stürzte ich mich in dichte Wälder.« Bestimmt habe es auch hier Zauberei gegeben, vermutet sie. Ihren Höhepunkt erreichte die Magie aber, als sie die Teufelsbrücke überquerte, und unterhalb von zwei Granitfelsen – der Rosstrappe und dem Hexentanzplatz – im Tal entlang wanderte. Wie es in der Legende heißt soll Prinzessin Brunhilde auf der Flucht vor einem Riesen auf einem weißen Hengst das Tal übersprungen haben.

Ein Besuch des Hexentanzplatzes hat bei Sarah Baxter einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen: »In den vergangenen Jahrhunderten fanden hier heidnische Rituale statt, um Waldgöttinnen zu ehren. Als solche Zeremonien von christlichen Invasoren verboten wurden, verkleideten sich die Sachsen zur Abschreckung als Hexen. Heute ist der Hexentanzplatz ein Themenpark, mehr Kitsch als Hexe. Trotzdem sei die Aussicht zurück ins Tal in Richtung Brocken faszinierend gewesen.«

»Wo an einem einzigen Tag 133 Hexen verbrannt wurden«

Zwar endet der Harzer-Hexen-Stieg in Thale, aber Sarah Baxter besuchte noch das nahegelegene Quedlinburg, wo viele mutmaßliche Hexen das Ende fanden. Wie behauptet wird, sollen hier 1589 an einem einzigen Tag bis zu 133 verbrannt worden sein.

Heute ist Quedlinburg für Baxter’s Geschmack mehr Disney als Grimm. » Es ist die am besten erhaltene mittelalterliche Stadt Deutschlands. Mehr als 2000 Fachwerkhäuser befinden sich in einem pastellfarbenen Gedränge unter einer Bergburg und dem Grab des ersten deutschen Königs.« Es gebe weniger Hexen in den Souvenirläden, mehr Touristen in den Cafés.

»Versöhnliches Fazit«

Die Journalistin beendet mit einem versöhnlichen Fazit ihre Reise. Im Mittelpunkt ihres Berichts stehe ja vielleicht weniger die Hexenmagie als vielmehr Mutter Natur: »Der Harz ist ein Ort, an dem man die Auswirkungen der Klimakrise sehen kann, aber, wo diese mythischen Wälder – die für die deutsche Kultur und Identität so zentral sind –  mit Zeit und Sorgfalt besser nachwachsen können als zuvor.

Text, Fotos, Video und Gestaltung: Michael Hotop, Jochen Hotop