Wandern

»Hohegeiß: Die Hauptstadt der ältesten Bäume im Harz«

Es sind Riesen aus einer längst vergangenen Zeit. Sie überragen mit ihren 50 Metern alle anderen Bäume im Wolfsbachtal bei Hohegeiß im südlichen Harz. Die »Dicken Tannen« – wie sie genannt werden – sind mindestens über 300 Jahre alt, kommen aber langsam an ihre Altersgrenze. 18 von ihnen gibt es noch. Das Wolfsbachtal ist ein einzigartiges Biotop, in dem sich »kleine Urwälder« mit Bergwiesen abwechseln. Wer die absolute Stille sucht – nur unterbrochen durch das Klappern des Schwarzstorchs, das Klopfen des Spechts und das Gurren der Hohltaube – für den ist der etwa vier Kilometer lange Wanderweg ein Erlebnis der besonderen Art. Für Touristen, die die Geheimnisse des Waldes erkunden wollen, ist Hohegeiß ein »Geheim-Tipp«. Das wird in einem Gespräch mit dem dortigen Revierförster Matthias Lüttgau deutlich.

Knorrige Äste
In den knorrigen Ästen finden Spechte einen reich gedeckten Tisch – kleine Raupen und andere Insekten.

Im Tal der Dicken Tannen: Hohegeiß im Harz

Die Riesen des Wolfsbachtals, von denen es 1893 noch 119 (1978 noch 58) gab, sind über eine Fläche von vier Hektar verstreut. Ihr genaues Alter, so Matthias Lüttgau, läßt sich nicht eindeutig bestimmen. Sie könnten sogar bis zu 400 Jahre alt sein.

Wenn man von »Dicken Tannen« spricht, sei das eigentlich nicht ganz korrekt. Der Volksmund verwende für die Fichten des Harzes häufig den Begriff Tanne und ältere Harzer hätten die Fichte zuweilen als Rottanne bezeichnet.

Sind die »Dicken Tannen« die höchsten Bäume des Harzes? Lüttgau will sich nicht festlegen. »Auf jeden Fall die ältesten.« In Westerhof zwischen Seesen und Gandersheim habe es auch einmal ziemlich hohe Tannen gegeben. »Ob die Exemplare in Hohegeiß höher sind, hat wohl noch niemand gemessen.«

Obwohl die »Dicken Tannen« im Tal stehen, überragen sie gleichaltrige Bergahorne, Buchen, Eschen und Ulmen um ein ganzes Stück. Dies wird besonders deutlich, wenn die Laubbäume keine Blätter haben.

»Bis zu 5 Meter Umfang«

Obwohl die Dicken Tannen von Hohegeiß im Harz tief im Wolfsbachtal stehen, überragen sie die gleichaltrigen Bergahorne, Buchen und Eschen um ein ganzes Stück. Die stärksten haben einen Umfang von fünf Metern. Offensichtlich ist es ihnen gelungen, die letzten Orkane unbeschadet zu überstehen…. »Leider nicht«, entgegnet Lüttgau, »auch beim Sturm ›Friederike‹ sind wieder welche umgebrochen. Die Fichten sind inzwischen an einer Altersgrenze angelangt.« Manche würden dann in der Förstersprache »innen ein wenig rotfäulig« sagen. Auslöser können zum Beispiel der Hallimasch-Pilz oder an jüngeren Fichten das Rotwild durch Schälen der Rinde sein. Andererseits habe es bei Friederike auch einen kerngesunden Baum mit wunderbar weißem Holz erwischt. »Er wurde bei einer starken Böe regelrecht abgedreht.«

Das ein trocken gewordener Riese fällt, dazu braucht es zuweilen nicht mal einen Sturm. Lüttgau: »Ich saß an einem windstillen Sommertag mit meiner Frau auf der Terasse, als eine dicke Fichte umgefallen ist. Es krachte dermaßen, dass man es bis hinauf nach Hohegeiß spüren konnte. Ich bin dann sofort ins Tal gefahren, um nachzusehen.«

»Uraltes Prachtexemplar«

Auch nach 300 Jahren von der Spitze bis zum Boden noch ein volles Nadelkleid.

Aber es gibt durchaus noch kerngesunde, uralte Fichten. So steht am Eingang des Wolfsbachtals in der Nähe des Hotel-/Restaurants »Wolfsbachmühle« ein wunderschönes Exemplar, das von der Spitze bis zum Boden ein herrliches Nadelkleid trägt. Von der einen Seite hat man einen überraschenden Blick auf das arm-dicke Astwerk, ein Lieblingsplatz der Spechte, die hier einen reich gedeckten Tisch vorfinden.

Ein Förster wie Lüttgau, der für insgesamt 1620 Hektar Wald verantwortlich ist, kennt natürlich den Grund für das prächtige Nadelkleid: Die Fichte wird früher als Solitärbaum auf einer Wiese gestanden haben, kriegte immer genügend Licht und konnte sich ohne den Konkurrenzdruck anderer Bäume gut entwickeln. Den Fichten, die ja eigentlich sauren Boden lieben, bekommt es ganz gut, dass sie in einem Mischwald stehen. Der Laubfall sorgt für ein reichhaltiges Nährstoff-Spektrum.

Wie kommt es, dass die Fichten nie auf dem Radarschirm der Sägewerke gelandet sind? Das Tal, vermutet Matthias Lüttgau, ist im 17. und 18. Jahrhundert noch unzugänglich gewesen, zumal der Abtransport von Stämmen damals mit Pferden erfolgte. Später seien sie für die Holzwirtschaft dann uninteressant geworden, da sie aufgrund ihres Umfangs nicht mehr in das Sägegatter passten. Irgendwann sei dann jemand auf die Idee gekommen, die Bäume unter Schutz zu stellen.

»Pflege des ökologischen Erbes«

Für wertvolle Lebensräume wie das Wolfsbachtal sind Schutzmaßnahmen eine Selbstverständlichkeit. So dachte 1989 auch der Landkreis Goslar und erklärte das Gebiet »Dicke Tannen« wegen seiner »Seltenheit, Eigenart und Schönheit« zum Naturdenkmal. »Leider wurde diese Entscheidung 2008 wieder zurückgenommen«, bedauert Lüttgau, »da die Sicherung der Wanderwege etwa vor herabfallenden Ästen den Landkreis viel Geld gekostet hat.« Heute liege die Schutzfunktion wieder bei der Forstverwaltung.

Revierförster – das ist eine ihrer Hauptaufgaben – gehen leicht und locker mit Fachbegriffen wie Prozessschutz, FFH-Richtlinie, Landschaftsschutzgebiet Harz, Hotspot und Natürliche Waldentwicklung um. Für den Außenstehenden ist es da nicht ganz einfach, den Überblick zu behalten. Welche dieser Maßnahmen sind nun für das Wolfsbachtal von Bedeutung, Herr Lüttgau? Auf europäischer Ebene greift zunächst die FFH-Richtlinie, nach der Pflanzen (Flora), Tiere (Fauna) und Lebensräume (Habitate) geschützt werden können. Und auf Landkreisebene gibt es die Verordnung »Landschaftsschutzgebiet Harz«. Aus Sicht von Matthias Lüttgau aber hat das Programm der Landesforsten »Natürliche Waldentwicklung 10« einen sehr hohen Stellenwert. Die Gebiete, die durch dieses Programm geschützt sind, werden nicht mehr angetastet. Hier herrscht im Fachjargon »absoluter Prozessschutz«, das heißt, es finden keinerlei forstliche Maßnahmen mehr statt. Umgefallene Bäume bleiben einfach liegen, abgestorbene einfach stehen. Lediglich Wanderwege werden geräumt und vor herabfallenden Ästen bewahrt, genauso Bachläufe, damit das Wasser nicht angestaut wird.

Wild und mystisch geht es im Wolfsbachtal zu. Das Totholz der gefallenen Riesen ist heute der Lebensraum, zum Beispiel für Bakterien, Moose, Pilze und viele Kleintiere.

»Das Schützenswerteste hieß früher Hotspot«

Matthias Lüttgau gehört zu denjenigen, die den flächendeckenden Prozessschutz eines ausgesuchten Gebiets – früher wurden nur Einzelbäume und Baumgruppen unter Schutz gestellt – von Anfang an befürwortet haben. »So entsteht in der Alterungs- und Zerfallphase des Waldes ein wertvoller Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen.« Einen konsequenten Prozessschutz könne man heute an vielen Stellen des Harzes beobachten. Die 4,2 Hektar große Habitat-Baumfläche im Wolfsbachtal sei im übrigen der Grund für die enorme Artenvielfalt dieses Lebensraumes. Lüttgau: »Früher hätte man für eine derartige Fläche den Begriff ›Hotspot‹ verwendet, als Umschreibung für das Höchste, Schützenswerteste überhaupt.«

Kommt es durch den Prozessschutz nicht zu Konflikten mit der Holzwirtschaft und zu Einnahmeverlusten beim Fiskus? Für Matthias Lüttgau ist diese Sichtweise nicht stichhaltig. Es gibt, so der Revierförster, überall genügend Waldflächen, die forstwirtschaftlich genutzt werden können. Und die Niedersächsischen Landesforsten, die in Braunschweig ansässig sind, hätten bei der Erreichung der Umsatzziele durchaus auch den Naturschutz im Auge. Die Forderung, eine bestimmte Prozentzahl des Waldes unter Schutz zu stellen, sei ja aus dem Landtag gekommen.

»50 gefährdete Pflanzenarten«

Als Förster ist Matthias Lüttgau immer wieder begeistert von der Artenvielfalt des Wolfsbachtals: »Es ist sozusagen ein Nationalpark im Kleinen. Spechte finden hier Insekten im Übermaß und in alten Spechthöhlen brütet dann wiederum die Hohltaube. In kaum einer Ecke des Harzes gibt es so viele Buntspechte wie hier.« Durch die Bergwiesen und vielen Bäche sei auch der Schwarzstorch gern im Revier und als ganz seltener Gast der Wanderfalke, dessen Brutplätze Lüttgau aber aus gutem Grund nicht verraten will.

Ins Schwärmen gerät der Revierförster auch, wenn er auf die Vielzahl an seltenen Pflanzenarten zu sprechen kommt, darunter die Mondviole von der roten Liste. Sie fühlt sich in feuchten Bachtälern besonders wohl und hat ein mondförmiges Blatt, das im Herbst einen transparenten, silbrigen Ton annimmt. Auf den Bergwiesen von Hohegeiß findet man 50 weitere gefährdete Pflanzenarten, darunter sechs verschiedene Orchideenarten sowie Arnika, Trollblume, Bärwurz, Storchenschnabel, Feuerlilie und Herbstzeitlose.

Idylle pur: Das Waldgasthaus Wolfsbachmühle.

»Blickfang: Wolfsbachmühle«

Der Name des Wolfsbachtals und des Wolfsbergs erinnern daran, dass es hier vor rund 250 Jahren noch Wölfe gab. Lüttgau: »Der letzte wurde 1756 zwischen Hohegeiß und Zorge erlegt.«

Wer im Ortskern von Hohegeiß seine Wanderung beginnt, kann nach etwa 800 Metern im Waldgasthaus »Wolfsbachmühle« einkehren – weltentrückt in einer Idylle pur. Für die hier gebotene Hausmannskost findet Matthias Lüttgau nur lobende Worte (»Super-Essen, nette Bedienung, reelle Preise«). Auch Forelle und Wild ständen manchmal auf der Karte.

Das Gebäude sei kurz nach 1700 erbaut und 200 Jahre lang als Getreidemühle betrieben worden. Seit der Stilllegung wird es als Hotel und Ausflugsgaststätte genutzt.

Auf dem ausgeschilderten Rückweg nach Zorge kommen wir nach einem Abstecher zur Schutzhütte »Nordhäuser Blick« an eine Stelle, wo im Nordosten auf einem Hochplateau Hohegeiß (Foto) zu sehen ist.

»Durch den Tourismus ist Hohegeiß gut ausgelastet«

Wodurch zeichnet sich Hohegeiß heute aus? Matthias Lüttgau muss nicht lange überlegen: Es ist mit 1000 Einwohnern der mit 642 Metern höchstgelegene Kur- und Wintersportort im Harz. Ein altes Bergdorf an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, von dem man weit ins Thüringer Bergland schauen kann.

Hohegeiß lebe heute überwiegend vom Tourismus, von Menschen, die die Stille der Natur genießen wollen, wandern oder Mountainbiken. Eine Zeit lang sei der Ort auf einem absteigenden Ast gewesen. Dies habe sich nach der Grenzöffnung durch das größere Einzugsgebiet – Halle, Leipzig und vor allem Thüringen – aber geändert. Lüttgau: »Ferienwohnungen und Hotels sind jetzt wieder ganz gut ausgelastet. Und: Immer mehr Holländer legen sich hier ein Häuschen zu.« Ob dies bereits mit der Angst der Küstenorte vor dem Klimawandel oder eher mit den günstigen Hauspreisen zusammenhängt, lässt Lüttgau dahingestellt. Zu einem Punkt äußert er sich in diesem Zusammenhang aber dennoch: »Während sich viele im Flachland über das heiße Sommerwetter beklagt haben, ist es in Hohegeiß drei bis vier Grad kühler und damit erträglicher gewesen.«

»Panoramic: Nicht alle Wünsche sind in Erfüllung gegangen«

Nicht immer gehen im Tourismus alle Wünsche in Erfüllung. Als das Panoramic-Hotel 1972 in Hohegeiß gebaut wurde, so Lüttgau, habe man dem Ort sozusagen als Gegenleistung ein Kurhaus versprochen. »Die heutige Realität hat mit den Hoffnungen von damals allerdings nur noch wenig zu tun. Das Kurhaus war lange geschlossen. Inzwischen hat sich ein neuer Pächter gefunden.  Einer der beiden Türme des Panoramic ´s beherbergt heute Ferienwohnungen, der andere wird zwar als Hotel genutzt, hat aber mehrere Verwalterwechsel hinter sich. Das ist sehr schade, zumal der Komplex vor einem herrlichen Waldpanorama steht. Von den oberen Etagen hat man einen tollen Blick über den Harz«, findet Matthias Lüttgau und hofft auf eine erfolgreichere Zukunft mit nachhaltigen Ideen.

»Wanderungen auf der alten Bobbahn«

Rund um Hohegeiß gibt es eine Vielzahl interessanter Wanderwege. Zum Beispiel auf der alten Bobbahn, wo nach 1900 mit dem Rodelschlitten sogar Wettbewerbe ausgetragen worden sind. Sie liegt im Südosten von Hohegeiß und reicht fast bis nach Zorge hinunter.

Sehr beliebt ist auch der sogenannte Briefträgerweg, den der Postzusteller von Braunlage kommend genutzt hat. Die Zeit vergeht der Name Briefträgerweg ist geblieben.

»Blick bis zum Eichsfelder Dom«

Wann hat Matthias Lüttgau, der aus Vienenburg stammt, sein Herz für Hohegeiß und den Wald entdeckt? Eine Geschichte sei ihm immer plastisch in Erinnerung geblieben. Als Neunjähriger habe er gemeinsam mit Vater, Mutter und zwei Bekannten aus Düsseldorf die dickste Tanne des Wolfsbachtals umarmt. Außerdem sei er ein paarmal mit der Schule in Hohegeiß gewesen. »Vermutlich ist meine Begeisterung für den Wald in dieser Zeit entstanden.«

Wenn Lüttgau auf der Terrasse seines Forsthauses steht, schweift sein Blick nicht nur über herrliche Bergwiesen, sondern er kann als kleinen Punkt am Horizont auch den etwa 60 Kilometer entfernten Eichsfelder Dom in Mühlhausen sehen.

Revierförster Matthias Lüttgau in seinem Försterei-Büro.

Die Herausforderungen in der Revierförsterei sind alles andere als einfach. In diesem Jahr mußten aufgrund von Sturmschäden rund 12 500 Festmeter Holz sowie aufgrund der Trockenheit 20 000 Festmeter »Borkenkäferholz« bewegt werden. Dies entspricht einem dreijährigen Jahreseinschlag. Während Lüttgau früher mit eigenen Leuten gewirtschaftet hat, werden die Arbeiten heute mit Lohnunternehmern erledigt.

»Rotwild hat sich stark vermehrt«

Zur Hege und Pflege der forstwirtschaftlichen Flächen gehört auch die Beobachtung des Wildbestandes. So habe sich im Besonderen das Rotwild in den letzten Jahren in seinem Revier stark vermehrt. Jedes Jahr müßten daher 80 bis 100 Stück erlegt werden. Die Vermarktung des Wildbrets erfolge über das Forstamt in Bad Lauterberg. Es werde überwiegend an Wildhändler verkauft, aber auch Privatleute kämen durchaus zum Zug. Sie würden das Wildbret in Zorge abholen, wo es eine spezielle Kühlkammer gebe.

Lüttgau macht dabei gleichzeitig deutlich, dass es ihm bei der Dezimierung des Bestandes um die Vermeidung von Wildschäden gehe. »Wir brauchen das Rotwild, wollen nur etwas weniger haben. Ein Wald ohne Wild ist kein Wald!«

»Mountainbike-Rennen mit 250 Teilnehmern im Revier«

Mountainbike-Fahrer stören Matthias Lüttgau nicht. »Sie sind leise und machen keinen Dreck«, bringt er das Problem mit einem Satz auf den Punkt, »und sie fahren nur auf bestimmten Waldwegen.« Im Frühjahr habe es in seinem Revier sogar ein Mountainbike-Rennen mit 250 Teilnehmern gegeben. »Alles, was nicht stinkt und knattert, unterstützen wir gern.« Er ist froh, dass im Gegensatz zu anderen Ecken des Harzes die Wanderer in Hohegeiß nur ganz selten durch Motoren-Lärm belästigt werden.

»Besser als drei Jahre Biologie-Unterricht«

»Eine Stunde mit einem Revierförster im Wald ist effektiver als drei Jahre Biologie-Unterricht, wenn es um das Verstehen von ökologischen Zusammenhängen geht«, möchte man nach dem Gespräch mit Matthias Lüttgau ausrufen. Den Jugendlichen die Natur wieder näher zu bringen, sieht Lüttgau als wichtige Aufgabe. In Hohegeiß gebe es mehrere Landschulheime und man mache auch bei dem Projekt »Erlebnistage Harz« mit. Der Revierförster berichtet von einer Schulklasse aus Brudstadt in Bremen. »Die jungen Menschen waren im Dunkeln noch nie im Wald. Das war für sie ein besonderes Erlebnis, das sie nicht vergessen werden.«

»Bergwiesen: Das Charakteristische von Hohegeiß im Harz«

Wie ein roter Faden tauchen die »Bergwiesen« im Gespräch mit Matthias Lüttgau immer wieder auf. »Sie sind das Charakteristische von Hohegeiß«, sagt er und verweist darauf, dass in Richtung Nordhausen alle Wiesen erhalten geblieben sind. Auch in St. Andreasberg und Clausthal-Zellerfeld gebe es viele Wiesen, die naturnah bewirtschaftet werden.

Da viele Bergwiesen aufgrund ihrer Hanglage nicht befahren und gemäht werden können, werden sie in Hohegeiß – so wie eh und je – mit Kühen und Ziegen abgeweidet. »Im Besonderen Ziegen«, schwärmt Lüttgau, »machen ›reinen Tisch‹.« Auch junge Ahornbäume verschmähten sie nicht. Nur so ließen sich die Wiesen in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten.

Aber es gibt auch andere Flächen, die zwingend von Kühen abgegrast werden müssen. Lüttgau zeigt auf eine Wiese auf der sechs verschiedene Orchideenarten zuhause sind. »Die Kühe fressen genau die Pflanzenarten heraus, die die Orchideen sonst verdrängen würden«, erläutert er. Insgesamt gebe es auf dieser Fläche 11 bedrohte Pflanzenarten, die auf der roten Liste stehen. Und begeistert fügt er hinzu: »Eine dolle Sache wie die Natur das regelt.«

»Bergwerks-Pingen als Fledermaus-Quartiere«

Dass im Wolfsbachtal früher nach Eisenerz gegraben worden ist, davon zeugen einige alte Bergwerks-Pingen – bis zu 20 Meter lange Gänge. Sie sind heute vergittert, weil sie von Fledermäusen als Winterquartiere genutzt werden.

»Ein Comeback für den Harz«

»Das geheime Leben der Bäume« schaffte es auf Platz 1 der Bestseller-Listen. Zeitschriften springen auf den Trend auf und bringen lange Geschichten über den »Kraftort Wald«, ja es ist sogar die Rede vom »Wald baden«. Für Matthias Lüttgau ist das alles kein Zufall: »In Zeiten von Digitalisierung und zunehmender Beschleunigung sehnen sich die Menschen nach Stille und Natur, um wieder zur Besinnung und zur Achtsamkeit zu finden. Auch die Jüngeren werden die Liebe zum Wandern und zum Naturerlebnis wieder entdecken. Davon bin ich überzeugt. Der Harz steht vor einem Comeback.«

Text, Fotos und Gestaltung: Michael Hotop, Jochen Hotop

Infobox

Wie der Name »Hohegeiß« entstand

Es gab 1444 noch keinen Ort, als Mönche des 11,5 Kilometer entfernten Klosters Walkenried in der Waldeinsamkeit eine kleine Kirche errichteten und ihr den lateinischen Namen »Alta Capella« (»hohe Kapelle«) gaben. Generationen später wurde daraus »hohe Geiß«. Der Grund: »capella« stand im Lateinischen nicht nur für Kapelle, sondern auch für Geiß, also Ziege. Lateinschüler gaben bei der Übersetzung offensichtlich der Ziege den Vorzug. So prägt das Wappen von Hohegeiß statt der »hohe-geistlichen« Kirche heute der Ziegenbock.

»Der Nonnenbanksweg«

Nonnen und Mönche sind damals regelmäßig zur Kapelle hochgepilgert. Auf ihrem Weg standen zwei Bänke. Eine Bank für die Nonnen, die andere für die Mönche. »Sie durften natürlich nicht zusammen auf einer Bank sitzen«, schmunzelt Matthias Lüttgau. »Dass es so war, ich glaub’s nicht.« Den Weg gibt es immer noch. Er wird heute als Nonnenbanksweg bezeichnet.